8. April 2018

Allogene Transplantate: sicher wie Arzneimittel

Über die Gewebebank Cells+Tissuebank Austria (C+TBA) und Sicherheitsstandards in Europa

Erstveröffentlichung: Implantologie Journal 12/17, Seiten 56-59, OEMUS MEDIA AG, Leipzig

Am Beispiel der 2004 gegründeten „Cells+Tissuebank Austria, C+TBA“, die im dentalen Bereich exklusiv mit dem renommierten Unternehmen Straumann/botiss kooperiert, beschreibt der nachfolgende Beitrag den Weg von der Entnahme des Spendergewebes über dessen Aufbereitung zu allogenen Transplantaten bis hin zu Patienten in der implantologischen Praxis, die für eine Augmentation vorgesehen sind.
Über Sicherheitsstandards in Europa, Screening-Verfahren und validierte Aufbereitungsverfahren informiert Mitbegründer und Geschäftsführer der C+TBA Martin Hennes im Gespräch mit Fachjournalistin und Zahnärztin Dr. Aneta Pecanov-Schröder.

Mehr als 30.000 allogene Knochentransplantationen werden in Deutschland jährlich durchgeführt und auch in der dentalen Implantologie sind allogene Transplantate stark in den Fokus gerückt, denn sie ermöglichen ein weniger invasives Vorgehen im Vergleich zu Augmentationen mit autologem Knochen, und sie sind quasi uneingeschränkt verfügbar [1]. Prozessierter allogener Knochen und autologes Gewebe weisen keine Unterschiede in ihrer immunologischen Kompatibilität auf. Außerdem lassen sich keine zirkulierenden Antikörper im Blutplasma behandelter Patienten nachweisen [2]. Darüber hinaus konnte radiographisch, histologisch und morphologisch gezeigt werden, dass sich autologer Knochen und Allograft im finalen Stadium der Inkorporation nicht mehr unterscheiden [3-6].

Inzwischen gewährleisten zertifizierte Produktionsprozesse höchste Sicherheitsstandards, doch vereinzelt in der Literatur beschriebene Fälle von Krankheitsübertragungen führen zu Unsicherheiten bei Anwendern. In diesen Fällen wurde „fresh frozen bone“, allogenes Material, das für die Zahnheilkunde in Deutschland heutzutage keine Relevanz hat, eingesetzt.

In Deutschland kommen für oralchirurgische und implantologische Eingriffe hauptsächlich zwei Darreichungsformen für dezellularisierte allogene Materialien zum Einsatz: zum einen mineralisierter prozessierter, entzellularisierter Knochen (mineralized processed bone allograft, MPBA). Dieser ist in der Implantologie relevant [7] demineralisierter gefriergetrockneter Knochen (demineralized freeze-dried bone allograft, DFDBA), wenn auch deutlich seltener.

EUROPÄISCHE RICHTLINIEN VEREINHEITLICHEN QUALITÄTSSTANDARDS

Bei der „Cells+Tissuebank Austria“ (C+TBA), der größten österreichischen Gewebebank, handelt es sich um eine gemeinnützige Organisation, die sich im Bereich muskuloskelettaler Gewebe auf humanes Knochengewebe spezialisiert hat. Martin Hennes weist darauf hin, dass „alle von der C+TBA aufbereiteten Transplantate mittlerweile ausschließlich von Spendergewebe aus Österreich und Deutschland stammen, also in Ländern gewonnen werden, welche die EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt haben und die Einhaltung streng kontrollieren.“ Die Entnahme erfolgt standardisiert nach einem festgelegten Entnahmeprotokoll. „Alle Gewebespenden basieren auf der schriftlichen Einwilligung der Patienten und einem Gesundheitsstatus mit hoch-selektiven Ausschlusskriterien“, erläutert Hennes und ergänzt: „Sie sind freiwillig und unentgeltlich.“

Bis zum Jahr 2004 normierten nationale Gesetzgebungen die Qualitätsanforderungen der Gewebespenden. Dann folgte ein Meilenstein: Im Jahr 2004 wurden die bisher divergenten nationalen Richtlinien durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union vereinheitlicht – mit dem Ziel, die Sicherheit bei Anwendungen allogener Gewebe zu erhöhen. In einer ersten Direktive wurde festgelegt, wie künftig der Umgang mit Zellen und Gewebe stattzufinden hat [8]. Zwei Jahre später folgte die Umsetzungsrichtlinie für Gewebebanken und Entnahmestellen [9]: Während die Entnahmestellen für die Entnahme selbst, die Testung des Gewebes sowie die Freigabe des Gewebes zur Prozessierung zuständig sind, liegt der gesamte weitere Ablauf in der Verantwortung einer Gewebebank. Das umfasst also auch den Prozess der Aufbereitung, Lagerung und dem Inverkehrbringen von Zellen und Geweben. Die C+TBA unterliegt den Bestimmungen des österreichischen Gewebesicherheitsgesetzes, das seit März 2008 in Kraft ist und beide Richtlinien umsetzt.  „Gewebebanken sind reguliert“, erklärt Hennes. „Das heißt sie benötigen eine behördliche Bewilligung und werden – wie im Fall der C+TBA – in zweijährigen Abständen durch eine Behörde, nämlich durch die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit im Auftrag des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen inspiziert.“

Der Weg von der Gewebespende über das prozessierte und finale Produkt bis zum Patienten ist weit. „Eine Gewebebank zu etablieren, ist nicht trivial, das dauert“, gibt Hennes zu verstehen und führt aus: „Es gibt in Europa auch nur wenige, welche wie die C+TBA den gesamten Prozess von der Entnahme des Spendergewebes über dessen Aufbereitung zu allogenen Transplantaten bis hin zur europaweiten Distribution via bedeutender Partnerunternehmen begleiten, gestalten und kontrollieren.“

Die in Deutschland aktuell zugelassenen azellulären sterilisierten Knochenpräparate sind auf der Website des Paul-Ehrlich-Institutes gelistet [10].  Diese Transplantate dürfen in Deutschland nur von Distributoren mit einer Großhandelserlaubnis für Arzneimittel angeboten werden.

Kontrollierte Entnahme und schonender Reinigungsprozess

Das rein spongiöse Knochenregenerationsmaterial stammt von Lebendspendern nach Resektion des Femurkopfes beim Einsatz einer Hüftgelenktotalendoprothese. „Das macht 99,5 Prozent allen Gewebes, das bei der C+TBA prozessiert wird, aus.“ Die C+TBA kooperiert mit rund 60 Krankenhäuser in Österreich und Deutschland. Alle Gewebespenden werden entlang vertraglicher Vereinbarungen zwischen der C+TBA und den Krankenhäusern durchgeführt. Voraussetzung ist die schriftliche Einwilligung der Patienten zur Gewebespende und der Entnahme von Blutproben.

Hennes: „Die nach serologischer und mikrobiologischer Testung freigegebenen Spendergewebe werden einer schonenden Aufreinigung unter höchsten Qualitätsstandards (Allotec®-Prozess) unterzogen. Die Aufreinigung von 50 Femurköpfen nimmt eine ganze Arbeitswoche in Anspruch.“

Fig 4:

Um größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten, sind aufwendige technische Voraussetzungen zu erfüllen

ALLOTEC®-PROZESS IM ÜBERBLICK

(PUNKTE 1 BIS 7):

1. Zunächst findet in der Anamnese sowie der körperlichen Untersuchung die Selektion des Spenders statt. Nach Annahme des Spenders folgt eine Entnahme unter kontrollierten Bedingungen durch das geschulte OP-Team im Krankenhaus. Nach der Entnahme und der radiologischen und klinischen Gewebe-Beurteilung durch den entnehmenden Chirurgen wird der Femurkopf gekühlt und temperaturüberwacht zur C+TBA gebracht.

2. Es werden eine Reihe serologischer Testungen durchgeführt, u.a. Antikörper-Screening(Ak) und Nukleinsäure-Testungen (NAT). Im Falle nicht detektierbarer Antikörper (außerhalb des diagnostischen Fensters gelegen) gegen Kern- und Oberflächenantigene von Hepatitis- (HBs, HBc) und HI-Viren (Ag p-24) werden mittels NAT–Methode die Antigene (Viren) selbst erfasst. Hennes: „Das dauert 48 bis 72 Stunden. Erst wenn wir die Befunde beurteilt und die Freigabe erteilt haben, beginnt der Aufreinigungsprozess.“

3. Nach einer ersten groben Reinigung wird das Gewebe in seine endgültige Form (Blöcke, Ringe, Granula etc.) gebracht. Im anschließenden Ultraschallbad werden Blut, Zell-und Gewebekomponenten ausgewaschen und das Fettgewebe aus der spongiösen Struktur des Knochens gelöst. Die initiale Entfettung ermöglicht eine verbesserte Gewebepenetration durch die nachfolgenden Substanzen.

4. Die Prozessierung findet unter Reinraumbedingungen statt. In der Aufreinigung mit dem AlloTec®-Prozess werden residuales Fett entfernt, nicht-kollagene Proteine denaturiert, potenzielle Viren inaktiviert und Bakterien abgetötet. (Abreicherung um mindestens 6 Logstufen).

Reinigung mit leicht flüchtigen Reagenzien

„Wir arbeiten nicht mit aggressiver Chemie. Das ist ein ganz wichtiger Punkt“, verdeutlicht Hennes  „Darin unterscheiden wir uns wesentlich von anderen Gewebebanken. Bei der C+TBA kommen leicht flüchtige Reagenzien wie Äther und Alkohol oder Wasser für Injektionszwecke (WFI) zur Anwendung. Hier besteht aufgrund ihrer Beschaffenheit und des angewendeten Verfahrens keinerlei Risiko, dass Residuen in den Patienten gelangen und zu unerwünschten Reaktionen führen.“ Die Reinigung mit dem AlloTec®- Prozess gewährleistet unter anderem den Erhalt der biomechanischen und biologischen Eigenschaften in Bezug auf die Knochenregeneration.

5. Während der Aufreinigung werden nach der Ultraschallbehandlung verbliebene Zellen ausgewaschen, nicht-kollagene Proteine denaturiert, sowie antigenes bzw. immunogenes Potenzial reduziert. Vor allem aber werden potentielle Viren inaktiviert und verbliebene Bakterien abgetötet. Die abschließende oxidative Behandlung denaturiert persistierende, lösliche Proteine, inaktiviert spezifisch unbehüllte Viren und bakterielle Endosporen und reduziert potentielle Antigenität auf ein Minimum. Unlösliches Kollagen bleibt bei diesem Schritt unverändert erhalten.

6. Nach der Aufreinigung mit flüchtigen Reagenzien wird das Gewebe lyophilisiert. Bei dieser gewebeschonenden Trocknungsart wird gefrorenes Gewebewasser von der festen Phase in die gasförmige Phase sublimiert (Restwassergehalt ≤10%). Die Lyophilisierung erhält die natürliche Struktur des Gewebes.

7. Danach erfolgen die Verpackung und schließlich die Sterilisation durch Gamma-Bestrahlung (min. Dosis 25 kGy). Sie gewährleistet ein pharmazeutisches Sterilitätslevel (sterility assurance level, SAL) von 10–6 (Das bedeutet, dass in einer Million Verkaufseinheiten maximal ein lebensfähiger Keim enthalten sein darf.) sowie eine schonende Sterilisation von Produkt und Verpackung ohne strukturelle oder funktionelle Einschränkungen. „Die doppelte Verpackung und die Sterilisation durch Gamma-Bestrahlung garantieren eine Haltbarkeitsdauer von fünf Jahren Lagerung bei Raumtemperatur.“
„Erst wenn alle Daten zum Sterilisationsprozess vorliegen und so die Produktsterilität gewährleistet ist, geben wir die Produkte zur Anwendung frei.“

Limitiert: Transplante von post mortem Spendern

Es gibt Transplantate, die nur auf Basis von post mortem Spendern gewonnen werden können. Das trifft auf zwei der botiss-Produkte (maxgraft® block cortico-cancellous and maxgraft® cortico) zu.  „Diese kortikalen und kortiko-spongiösen Allografts stammen von Spendern, denen nach umfassender ärztlicher Beurteilung maximal 24 Stunden post mortem Femur und distales Ende der Tibia entnommen wurden. „Organspenden haben kein höheres Sicherheitsrisiko als Lebendspenden, Entnahmeprozeduren und Testungen sind die gleichen“, setzt Hennes der kontrovers geführten Diskussion darüber entgegen.

“ Wer Spender ist und wer nicht, regeln in europäischen Ländern Transplantationsgesetze. „In Deutschland ist bekanntlich nur derjenige Spender, der dies ausdrücklich bejaht. In Österreich ist jeder Spender, der nicht aktiv widerspricht und im Widerspruchs-Register erfasst wurde. In einigen anderen europäischen Ländern bedarf es zusätzlich der Zustimmung der nächsten Anverwandten. Trotz der Widerspruchsregelung in Österreich entnimmt das mobile Entnahmeteam der C+TBA nur durchschnittlich 15 post mortem Spenden im Jahr.“

Eine gesicherte Rückverfolgung findet sowohl bei Lebendspendern als auch post mortem Organspenden statt. „Diese wird mittels SEC Code (Single European Code) für Gewebe auf jedem Transplantat dokumentiert“, erläutert Hennes. Bei weit mehr als 100.000 Transplantationen von allogenen C+TBA Präparaten, wurden keine unerwünschten Zwischenfälle an die CTBA gemeldet. Hennes: „Der Qualitätsprozess ist bewährt und Voraussetzung für den klinischen Erfolg.“

Ausblick – Sicherheit, Konsolidierung, Technologie-Transfers

Der in Europa zertifizierte Produktionsprozess stellt zuverlässig höchste Qualitätsstandards sicher. „Was in dem Bereich heute in Europa steht, gilt als Benchmark.“ In Nordamerika zum Vergleich seien die Grundbedingungen andere. Das System gründet wesentlich auf post mortem Spendern, was sich auf die Möglichkeiten zur Transplantatgewinnung auswirkt.

Die C+TBA, ist Hennes überzeugt, „ist für die Zukunft gut aufgestellt. Wir haben Anfragen u.a. aus Russland, der Türkei oder Kasachstan; Länder, die gerade das streng regulierte Verfahren und die europäischen Qualitätsstandards schätzen.“ In manchen Gegenden der Welt, „etwa Japan, gibt es Zugangsbeschränkungen, die letztlich über Sicherheitsaspekte hinaus gehen. Da ist es besser, wir bringen die Technologie vor Ort anstelle der Produkte.“ An den Qualitätsstandard der C+TBA wird sich nichts ändern, und Hennes fasst zusammen: „Erstens: Unsere Transplantate haben die biologisch aktive, regenerative Komponente, die das remodelling des natürlichen Knochens befördert. Zweitens: Sie bieten wie Medizinprodukte eine einfache Handhabung und sind verlässlich verfügbar. Drittens: Unsere Transplantate sind so sicher wie Arzneimittel, was alleine schon die Zulassung in Deutschland dokumentiert. Biologisch aktiv, einfach zu handhaben, verfügbar und sicher – das dürfen Spender, Anwender und zuallerst Patienten von einem allogenen Transplantat heute in Europa erwarten.

Literature

  1. http://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/veranstaltungen/2007/gewebeinfo1812/vortrag-3.pdf?__blob=publicationFile&v=2; Priv.-Doz. Dr. Axel Pruß Obmann der DGTI-Sektion 8 „Gewebezubereitungen“ c/o Charité – Universitätsmedizin Berlin Institut für Transfusionsmedizin, Gewebebank Charitéplatz 1, 10117 Berlin
  2. Gomes KU, Carlini JL, Biron C et al.. Use of allogeneic bone graft in maxillary reconstruction for installation of dental implants. J Oral Maxillofac Surg. 2008 Nov;66(11):2335-8.
  3. Urist MR. Bone: Formation by autoinduction. Science. 1965 Nov 12;150(3698):893-9.
  4. Al-Abedalla K, Torres J, Cortes AR. Bone Augmented With Allograft Onlays for Implant Placement Could Be Comparable With Native Bone. J Oral Maxillofac Surg. 2015 Jun 20. pii: S0278-2391(15)00819-8. doi: 10.1016/j. joms.2015.06.151.
  5. Temple HT, Malinin TI. Microparticulate cortical allograft: an alternative to autograft in the treatment of osseous defects. Open Orthop J. 2008 May 14;2:91-6. doi: 10.2174/1874325000802010091.
  6. Schlee M, Dehner JF, Baukloh K et al.. Esthetic outcome of implant-based reconstructions in augmented bone: comparison of autologous and allogeneic bone block grafting with the pink esthetic score (PES). Head Face Med. 2014 May 28;10:21. doi:10.1186/1746-160X-10-21.
  7. Pecanov-Schröder A.: Allografts – immer mehr im dentalen Einsatz. Implantologie Journal 3/2017
  8. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:102:0048:0058:en:PDF
  9. Procurement: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2006:038:0040:0052:EN:PDF
  10. http://www.pei.de/DE/arzneimittel/gewebezubereitungen/knochenpraeparationen/knochenpraeparationen-node.html

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